Samstag, 22. Juni 2019

Mindestausbildungsvergütung - Viele Handwerker fühlen sich gegängelt. - handwerkernachrichten.com




Karliczek: "Erstmals wird es eine Mindestausbildungsvergütung geben.
Sie liegt bei 515 Euro im 1. Lehrjahr ab 2020. Bis 2023 soll sie auf 620
Euro steigen. Damit drücken wir eine Wertschätzung für die Arbeit der
Auszubildenden aus. Sie sind aber auch so gewählt, dass die Bereitschaft
der Betriebe erhalten bleiben soll, Ausbildungsplätze anzubieten.
Außerdem wollen wir die Weiterbildungsstufen durch Bezeichnungen wie
"Bachelor professional" international sichtbarer machen. Der Meister
bleibt aber der Meister. Und jeder soll wissen, dass wir ihn schätzen
und wir ihn international einstufen. Außerdem werden wir die
Teilzeitausbildung erweitern und das Prüfungswesen verbessern." - Im
Doppelinterview mit der Deutschen Handwerks Zeitung sprachen
ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer und Bundesbildungsministerin Anja
Karliczek über die Mindestausbildungsvergütung und andere Streitpunkte
der Novelle des Berufsbildungsgesetzes.



DHZ: Frau Karliczek, die Große Koalition hat sich die Stärkung der
dualen Ausbildung und eine Mindestausbildungsvergütung auf die Fahnen
geschrieben. Wird es bei den Turbulenzen in der Koalition noch dazu
kommen?


Anja Karliczek: Davon gehe ich fest aus. Die Koalition arbeitet gut
zusammen, hat noch eine Menge vor und wird auch dieses Gesetz
verabschieden. Mit der Novelle des Berufsbildungsgesetzes wollen wir die
berufliche Bildung attraktiver machen. Sie eröffnet ausgezeichnete
Karriereperspektiven.


DHZ: Herr Wollseifer, mancher Handwerker insbesondere in Ostdeutschland dürfte das anders sehen.


Hans Peter Wollseifer: Vor allem was die Mindestausbildungsvergütung
angeht sicherlich schon. Auf der anderen Seite begrüßen wir die
Bemühungen der Gesetzesnovelle um die Gleichwertigkeit von dualer und
akademischer Ausbildung. Dafür wieder ein Bewusstsein in der
Gesellschaft zu verankern, ist ein ganz wichtiges Anliegen von uns. Das
ist zudem nicht nur für die Betriebe wichtig, es stärkt auch die
Auszubildenden in ihrem Selbstwertgefühl. Das heißt aber nicht, dass wir
keinen Verbesserungsbedarf sehen. Wir befinden uns erst am Anfang des
parlamentarischen Prozesses. Da hoffen wir schon, noch an dem einen oder
anderen Rädchen drehen zu können.


Karliczek: Mir war immer sehr wichtig, dass es die Möglichkeit gibt,
regionale oder auch branchenspezifische Lösungen zu finden. Das
erreichen wir, indem wir tarifpartnerschaftlichen Vereinbarungen stets
den Vorrang einräumen. Dazu muss  es aber natürlich auch kommen. Leider
ist die Tarifbindung mancherorts nicht gut bestellt. Dort greift dann
die Haltelinie.


Wollseifer: Für meine Begriffe sind diese 515 Euro aus dem Nichts
gegriffen. Wir haben in Deutschland große Unterschiede bei den
Lebenshaltungskosten und in den Wertschöpfungen einzelner
Wirtschaftsbereiche. Letzteres gilt auch innerhalb des Handwerks. Im
Baubereich zahlen wir die höchsten Azubi-Vergütungen überhaupt in einem
Wirtschaftsbereich. Sicherlich gibt es auch Handwerksberufe, die unten
auf der Skala liegen. Die Krux ist, dass öffentlich vor allem sie
wahrgenommen werden. Was problematisch ist: In Ostdeutschland fehlen oft
die Gewerkschaften für den Abschluss entsprechender Tarifverträge. Die
Betriebe werden dort also die 515 Euro zahlen müssen. Anfangs mag es
noch gehen. Möglicherweise auch in der Übergangszeit bis 2023. Aber dann
kommen die prozentualen Erhöhungen, und dann wird das für eine Reihe
von Betrieben schwer.


DHZ: Was heißt das?


Karliczek: Ab dem Jahr 2024 soll die Höhe der Ausbildungsvergütung
nach einem festgelegten Mechanismus angepasst werden. Das bringt
Planungssicherheit. Der jährliche Anstieg soll der durchschnittlichen
prozentualen Erhöhung aller Ausbildungsvergütungen der Vorjahre
entsprechen. Übrigens: Vor der Festlegung der 515 Euro haben wir sehr
intensiv mit den Tarifvertragsparteien geredet. Der Wert entspricht auch
schon deren Vorstellungen.


DHZ: Das eine ist die Höhe der Mindestausbildungsvergütung, das
andere ist, dass der Staat meint, schon wieder irgendwelche Regeln
aufstellen zu müssen. Viele Handwerker fühlen sich ganz einfach
gegängelt.


Wollseifer: Langsam fragen sich viele Betriebsinhaber, ob sie
überhaupt noch Herr im eigenen Betrieb sind. Sie bekommen immer mehr
Lasten aufgebürdet. Und jetzt auch noch die Mindestausbildungsvergütung.
Bei vielen stellt sich das Empfinden ein: Die da oben, die verstehen
mich nicht mehr mit meinen Bedürfnissen im Betrieb. Die kümmern sich
nicht mehr um die Dinge, die uns täglich bewegen: Die Dieselproblematik,
den Netzausbau, die hohen Steuern und Abgaben.


DHZ: Frau Karliczek, uns sagen Handwerker, wenn wir schon ausbilden,
wenn wir uns um die Integration von Lernschwächeren, von
Studienabbrechern, von Flüchtlingen kümmern, warum werden wir dann nicht
finanziell entlastet?


Karliczek: Ich verstehe die Kritik sehr gut. Ich komme selbst aus
einem Gastronomie-Betrieb, in dem wir auch mit diesen Anforderungen
konfrontiert sind. Wir haben gerade in der Koalition vereinbart,
Bürokratie abzubauen. Davon muss auch das Handwerk profitieren. Was die
Ausbildungsvergütung angeht, müssen wir aber auch sehen, dass zum
Beispiel der Betrieb meiner Familie schon überdurchschnittlich zahlen
muss. Denn sonst würden wir keine Auszubildenden mehr finden. Ich glaube
auch nicht, dass die Mindestausbildungsvergütung die große Mehrzahl der
Betriebe überfordert. Es ist eine untere Haltelinie. Dass dies für
einzelne Branchen und Regionen nicht einfach ist, ist sicher richtig.
Deshalb gibt es den Tarifvorrang.


DHZ: Herr Wollseifer, Sie haben eine Ablösesumme ins Spiel gebracht. Was wollten Sie damit bezwecken?


Wollseifer: Den Begriff als solchen habe ich nicht verwendet. Was ich
mit meinem Denkanstoß auslösen wollte, war Aufmerksamkeit auf den
großen gesellschaftspolitischen Beitrag zu lenken, den das Handwerk mit
seiner Ausbildungsleistung erbringt. Das wird nach meinem Eindruck von
Vielen für selbstverständlich genommen. Das ist es aber nicht. Tatsche
ist, dass 28 Prozent aller Lehrlinge im Handwerk ausgebildet werden. Wir
bilden immer noch über den eigenen Bedarf aus. Das lassen sich die
Betriebe im Durchschnitt je Ausbildungsplatz  rund 5.500 Euro im Jahr
kosten. Wenn dann aber die Auszubildenden sogar über Headhunter
abgeworben werden, dann sollten wir schon darüber nachdenken, wie wir
die Betriebe unterstützen könnten. Und ob es nicht vielleicht auch einen
Weg einer finanziellen Wertschätzung gibt, das könnte auch in Form von
Entlastungen für ausbildende Betriebe sein. Generell müssen wir uns um
eine vernünftige Verteilung der Ausbildungslasten bemühen.


DHZ: Mit dem neuen Gesetz sollen die Aus- und
Weiterbildungsabschlüsse neue ergänzende Bezeichnungen wie Master
professional bekommen. Auch das hat für Aufregung gesorgt.


Wollseifer: Niemand braucht sich aufzuregen. Wir wollen den
Meisterbegriff ganz sicher nicht ausradieren. Er soll nur ergänzt
werden. Wir möchten seit Jahren sichtbar machen, dass der Meister ein
Niveau hat, das mit dem Bachelor vergleichbar ist. Und dass der
Betriebswirt im Handwerk dem Master entspricht. Mit dem Zusatzvermerk:
Meister -"Bachelor professional" wollen wir genau das erreichen. Daher
begrüßen wir den Vorstoß von Ministerin Karliczek ausdrücklich. Aber
klar ist auch: Der Meister bleibt der Meister.


DHZ: Hoffen sie so, mehr junge Menschen für die duale Ausbildung zu gewinnen?


Karliczek: Selbstverständlich. Ich möchte, dass besser für alle
sichtbar wird, welcher Qualifikationsstufe ein Titel nach einer
Fortbildung entspricht. Das ist momentan zum Teil schwer zu erkennen.
Auch die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten sind dann transparenter.
Und, wie Herr Wollseifer sagte: Bisherige historisch gewachsene
Bezeichnungen bleiben erhalten und natürlich, wie gesagt, auch der
Meister.


Wollseifer: Im Übrigen macht auch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz
internationale Zusatzbezeichnungen erforderlich. Wir wollen ja
Fachkräfte anwerben, die eine Ausbildung genossen haben, und die sich
einstufen lassen. Und die umgekehrt auch wissen müssen, welches
Qualifikationsniveau die Stellen haben, auf die sie sich in Deutschland
bewerben wollen.


DHZ: Wie steht es mit finanzieller Förderung der Aus- und Weiterbildung?


Wollseifer: Wir brauchen in jedem Fall eine Weiterentwicklung des
"Meister-Bafögs". Ziel muss sein, dass auch eine zweite Weiterbildung
gefördert werden kann. Also nicht nur die Meisterprüfung, sondern etwa
auch der Betriebswirt im Handwerk. Oder wenn ein Anlagenmechaniker- SHK
den Elektromeister hinzumachen will, dann müsste auch das förderfähig
sein.


DHZ: Frau Ministerin, wie ist der Stand der Dinge?


Karliczek: Die BBiG-Novelle ist die Grundlage für die Novelle des
Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes, dem so genannten
"Aufstiegs-BAföG". Über dieses weitere Gesetz wollen wir nicht wie
bisher nur eine Fortbildung fördern, sondern sogar bis zu drei - bis auf
Master-Niveau. Dafür brauchen wir auch die Fortbildungsstufen im BBiG,
an die wir mit den neuen Förderungsmöglichkeiten anknüpfen. Die
Abstimmung läuft. Sicher ist, dass wir für diese Legislaturperiode noch
350 Millionen Euro investieren werden. Auch diese Novelle ist ein
Zeichen der Wertschätzung der beruflichen Bildung.


DHZ: Kommen wir zum Prüfwesen. Da gab es anfangs große Hoffnung, dass
die Novelle Erleichterung bringt. Jetzt ist eher Ernüchterung
eingekehrt…


Wollseifer: Derzeit müssen wir uns sehr bemühen, genügend Prüfer zu
bekommen. Die Prüfungen werden immer zeitaufwendiger. Für Arbeitgeber
aus kleineren Betrieben, die das ja ehrenamtlich machen, ist das schwer
zu bewerkstelligen. Sie werden manchmal zu Kunden weggerufen. Deshalb
hatten wir uns dafür ausgesprochen, dass Prüfungen im praktischen
Bereich mit zwei statt drei Prüfern möglich sein sollten. Und zwar immer
dann, wenn sich der ganze Prüfungsausschuss – also Arbeitgeber,
Arbeitnehmer und Berufschullehrer – darauf einigt. Leider sieht das die
Gesetzesnovelle nicht vor.


Karliczek: Ich verstehe die Sorgen. Allerdings müssen die
Prüfungsresultate auch künftig rechtlichen Bestand haben. Werden sie
angefochten, ist die Lage bei nur zwei Prüfern oft schwierig. Deshalb
unterscheiden wir zwischen der Bewertung von nicht flüchtigen und
flüchtigen Prüfungsinhalten, wie etwa bei Beurteilung einer Torte im
Bäckereihandwerk. Bei nicht flüchtigen Inhalten soll es künftig auch
Prüfungen mit zwei Prüfern geben. Ein dritter wird nur herangezogen,
wenn die Prüfer mehr als zehn Prozent in der Bewertung
auseinanderliegen. Bei flüchtigen Prüfungsinhalten bleibt es bei drei
Prüfern. Auch hier haben wir intensiv mit Verbänden darüber gesprochen.
Was wir jetzt vorlegen, ist ein Kompromiss und wir sind mitten im
parlamentarischen Verfahren. Das wollen wir nach der Sommerpause
abschließen, damit das Gesetz zum 1. Januar 2020 in Kraft treten kann.


Die Fragen stellten Karin Birk und Steffen Range. Das Interview erschien am 21. Juni 2019.


Gegenüber der Fuldaer Zeitung argumentiert ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke gegen den Mindestlohn für Auszubildende.


Damit es kein Vertun gibt: Attraktive Ausbildungsvergütungen sind
gerade in Zeiten, in denen die Betriebe händeringend nach
Fachkräftenachwuchs suchen, wichtiger denn je. Das wissen die Betriebe,
und so handeln sie auch. Die Ausbildungsvergütungen sind in den
vergangenen Jahren ganz ohne staatliche Vorgaben oder Festlegungen
deutlich gestiegen. In den meisten Gewerken liegen sie bereits jetzt
über dem, was nun vereinbart wurde. Das ist doch ein klares Indiz dafür,
dass es keiner staatlichen Einmischung bedarf. Das gehört in die Hände
der Sozialpartner. Die wissen am besten, was für das jeweilige Gewerk
und die jeweilige Region angemessen ist. Bei bundesweit einheitlich
festgelegten Vergütungen besteht die Gefahr, dass kleine Betriebe in
strukturschwachen Regionen so belastet werden, dass sie sich Ausbildung
nicht mehr leisten können und sich ganz daraus zurückziehen. Das wäre
dann genau das Gegenteil von dem, was das Ziel war. Eine hohe
Ausbildungsvergütung wird nicht automatisch die Zahl der Auszubildenden
steigen lassen. Das ist ein Irrglaube, wie ein Blick in die Realität
zeigt: Die beliebtesten Ausbildungsberufe im Handwerk sind nicht die, wo
am besten gezahlt wird.


<![endif]-->Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH)
Mohrenstraße 20/21, 10117 Berlin

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