Hamburg, 29.12.2020 – Jahreswechsel
2020/21: Der Präsident der Handwerkskammer Hamburg, Hjalmar Stemmann,
lobt die Coronahilfen, warnt aber zugleich, dass sich im Zuge der Krise
die Vernachlässigung des Handwerks in der Mobilitäts- und Quartierspolitik
zu einem erheblichen Risiko für die Versorgungssicherheit auswachsen
könnte. Sein Appell für 2021: einstige Prioritäten überdenken und den
Dialog mit der Wirtschaft stärken. - Mit
Blick zurück auf 2020 stellt der Präsident der Hamburger
Handwerkskammer, Hjalmar Stemmann, fest: „Von Beginn an sorgte die
Pandemie im Hamburger Handwerk für große Unsicherheiten. Der erste
Lockdown hat Friseure, Kosmetikerinnen und Fußpfleger direkt betroffen.
Auch Handwerksbetriebe, deren Hauptabnehmer – etwa aus der Hotellerie,
Gastronomie und der Veranstaltungsbranche – schließen mussten, litten
finanziell. Dazu zählen etwa Textilreinigungen und Wäschereien,
Bäckereien und Fleischereien.“ Diese Betriebe habe besonders die
Hamburger Corona Soforthilfe entlastet: „An dieser Stelle möchte ich dem
Senat danken, dass er die Bundesmittel mit eigenen Mitteln aus dem
Hamburger Haushalt aufgestockt hat. Das hat vielen kleineren
Handwerksbetrieben im ersten Lockdown sehr geholfen.“
Großteil des Handwerks trifft Krise zeitversetzt
Die
andauernde Coronakrise wird Hamburg weiterhin vieles abverlangen. Auch
die wirtschaftliche Stabilität des Handwerks ist in Gefahr. Bislang
kommen die meisten Betriebe zwar noch relativ glimpflich davon, soweit
der Lockdown sie selbst beziehungsweise ihre Kunden nicht direkt
betrifft. Aber: „Fast alle werden die Folgen zeitversetzt spüren, etwa
wenn die Kaufkraft weiter sinkt, Bauaufträge zurückgehen oder
Geschäftspartner insolvent werden“, sagt Stemmann: „Um die
Leistungskraft des Mittelstands zu erhalten, muss die Politik deshalb in
dieser angespannten Lage alles vermeiden, was Arbeitgebern und
Arbeitnehmern das Leben und Arbeiten zusätzlich erschwert.“
Versorgungssicherheit nicht aufs Spiel setzen
Wie
eine Bürde läge etwa auf den Betrieben, dass der Senat das Handwerk in
zukunftsweisenden Politikfeldern kaum berücksichtige: So fehlten etwa im
Konzept der Verkehrs- und Mobilitätswende die besonderen
Herausforderungen des Handwerkerverkehrs völlig. Und in der
Quartierspolitik sei keine Perspektive für das Handwerk vor Ort
erkennbar. Stemmann: „In einer Wirtschaftskrise wirkt solch eine
unausgewogene politische Agenda wie ein Brandbeschleuniger. Denn, wenn
das Handwerk seine Kunden nicht mehr mit dem Werkstattwagen anfahren und
hohe Gewerbemieten nicht mehr zahlen kann, machen Läden und Werkstätten
dicht. Die Politik setzt dann die Versorgungssicherheit der Bevölkerung
aufs Spiel – und die Nachbarschaft von Wohnen und Arbeiten.“
Widerspruch zwischen Wollen und Handeln
Beispielhaft
nennt Stemmann Handwerksbetriebe, die durch stark ausgeweitete
Anwohnerparkzonen aus ihren Quartieren gedrängt werden, in denen sie zum
Teil seit Jahrzehnten ansässig sind. Dies widerspräche dem erklärten
politischen Ziel, die Lebensqualität in den Quartieren durch
Nutzungsmischung zu erhalten bzw. zu steigern. Außerdem belasteten
zeitlich und räumlich stark beschränkte Einfahrmöglichkeiten in
autoarmen Innenstadtbereichen, wie derzeit am Jungfernstieg und
angrenzenden Straßen, die Arbeit der Handwerksbetriebe sehr. „Wie soll
das in Zukunft weitergehen?“, fragt Stemmann: „Sollen künftig die
120.000 Beschäftigten im Hamburger Handwerk zu Nachtarbeitern werden,
weil ihre Servicefahrzeuge tagsüber nicht gewünscht sind?“ Für den
Präsidenten der Handwerkskammer ist es unverständlich, warum für
Handwerker unbürokratische Genehmigungen zum Befahren von und Parken in
Anwohnerparkzonen und autoarmen Zonen nicht möglich sein sollten.
Handwerkskammer bietet Politik Verkehrsversuch an
Die
Handwerkskammer ist überzeugt, dass sich die Bedarfe des Handwerks
pragmatisch in die verkehrspolitische Agenda integrieren lassen.
Stemmann: „Wo immer es geht, ist das Handwerk bei neuen Mobilitätsformen
dabei. Aber der normale Handwerksverkehr, wo er wirklich gebraucht
wird, muss möglich bleiben.“ Die Kammer bietet der Politik einen
Pilotversuch an, der die Vereinbarkeit der Senatsziele mit den
Mobilitätsbedarfen des Handwerks erprobt.
Handwerk ist in der Quartiersentwicklung unverzichtbar
Auch
bei neuen Quartiersentwicklungen fordert Stemmann, das Handwerk
rechtzeitig einzubinden: „Oberbillwerder, der Kleine Grasbrook oder das
Holsten-Areal dürfen nicht wieder weitgehend handwerksfreie Stadtteile
wie die Hafencity oder die Neue Mitte Altona werden.“ Einige wenige
Ladenlokale als Verkaufsstellen für endkundennahe Handwerker wie Bäcker,
Fleischer und Augenoptiker seien für eine handwerkliche Infrastruktur
nicht genug. Als Lösung für hochverdichtete Stadtteile schlägt er
Handwerkerhöfe mit Gewerbeeinheiten in gestapelter Bauweise vor. In
weniger urbanen Gebieten böten sich auch größere Grundstücke für eine
gemischte Nutzung von Wohneinheit und Werkstatt an. Stemmann ergänzt:
„Wichtig ist darüber hinaus, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
Handwerks bezahlbaren Wohnraum in Nähe ihres Arbeitsplatzes finden, was
nicht zuletzt Pendelverkehre reduziert.“
Die
Handwerkskammer steht als Impulsgeber bereit, wie Handwerksbetriebe als
Produzent, Versorger, Dienstleister und Arbeitgeber – um nur einige
Funktionen zu nennen – in den lokalen Nahraum eingebunden werden können;
im „Bündnis für Quartiere“ zum Beispiel und in der „Quartiersinitiative
urbanes Leben“, wo Bezirke mit Fachbehörden neue Strategien zur
Quartiersgestaltung entwickeln.
Prioritäten überdenken und Dialog stärken
Stemmann
appelliert an den Senat, sich zum Jahreswechsel 2020/21 zu fragen:
„Stimmen unsere Prioritäten noch? Haben wir die Voraussetzungen dafür
geschaffen, dass ein für die Stadt so unverzichtbarer Wirtschaftszweig
aus eigener unternehmerischer Kraft stabil und leistungsfähig bleiben
kann?“
Das Resümee des Handwerkskammerpräsidenten zum Jahresschluss: „Das
vergangene Jahr hat gezeigt, dass Politiker und Unternehmer schnell,
entschlossen und unkompliziert handeln können, wenn die Situation es
erfordert. Das verdient Respekt. Für 2021 wünsche ich mir, dass wir in
unserer Stadt Herausforderungen auch dann noch in dieser Art und Weise
anpacken, wenn wir von der aktuellen Pandemiepolitik hoffentlich wieder
einigermaßen geordnet in ein politisches Tagesgeschäft übergehen. Wir
stehen zum Dialog bereit.“
Handwerkskammer Hamburg
Holstenwall 12, 20355 Hamburg